hauptverzeichnis die klanginstallationen topophonicspheres |
Im Juni 1993 fand in Dresden die internationale Konferenz
"Herausforderungen für die Informationstechnik" mit Teilnehmern aus Europa, Amerika und Japan statt, im Auftrag des Bundesministers für Forschung und Technologie in Bonn, in Kooperation mit der Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris und organisiert von der
Fraunhofer-Gesellschaft. Thema der Konferenz waren die Anforderungen, die heute von Kultur,
Umwelt, Gesellschaft, Wirtschaft und Arbeit an die Informationstechniken gerichtet werden. Der
Rechner erlaubt neue Werkzeuge zur Vermittlung von Kunst und Kultur, zur Schonung von Ressourcen, zur Bewältigung alltäglicher Probleme, zur besseren Organisation der Arbeit und für viele
andere Aufgaben.
Es ist an der Zeit, daß die Entwicklung informationstechnischer Werkzeuge bewußter und gezielter von denen gesteuert wird, die die Werkzeuge einsetzen, damit Investitionsruinen vermieden und Aufgaben besser wahrgenommen werden. Deswegen standen im Mittelpunkt nicht, wie auf vielen Messen, die Leistungsfähigkeit der Technik, sondern die aktuellen Aufgaben in Kultur, Umwelt, Gesellschaft, Wirtschaft und Arbeit und die Frage, welche Unterstützung die Technik bei der Wahrnehmung der Aufgaben leisten sollte. Kunst und Kultur nutzen die Informationstechnik als künstlerisches Werkzeug und für die Vermittlung, so wie schon früher Techniken wie das Alphabet, der Buchdruck, das Klavier, die Fotografie und die Schallplatte genutzt wurden. Welche neuen Anforderungen stellen sich heute? Und wie lassen sich die Anforderungen tatsächlich umsetzen? Sabine Schäfer hat im Auftrag der Fraunhofer-Gesellschaft die TopoPhonicSpheres für die Konferenz in Dresden komponiert, weil sie als Komponistin eine beispielhafte Antwort auf die Frage gefunden hat, wie Komponisten mit den neuen Techniken umgehen sollten und was die Informationstechnik zu leisten hat. Ihr Werk hat unmittelbar mit der Konferenz zu tun, ist Thema der Konferenz und nicht nur schmückendes Beiwerk oder festlicher Rahmen. Sabine Schäfer hat angesichts der Leistungsfähigkeit der Informationstechnik und ihrer mangelnden Eignung für bestimmte Aufgaben auf ihre Kompositionsanforderungen abgestimmte Hard- und Softeware entwickeln lassen, um sich nicht als Komponistin mit technischen Problemen auseinandersetzen zu müssen, sondern sich voll der Komposition widmen zu können. Sabine Schäfer schafft Räume, durch die sich die Musik bewegt. Der Ton ist nicht mehr an einen bestimmten Ort gebunden. Er bewegt sich nicht nur zwischen zwei Lautsprechern wie in der Stereomusik, sondern durchwandert frei den ganzen Raum. Es entsteht ein virtueller Klangraum, virtuell, weil sich die Tonquellen nicht bewegen und doch der Eindruck von Bewegung entsteht. Die Bewegung im Raum wird zu einem neuen Kompositionselement. Der Hörer erlebt Analogien zu seiner realen, organischen akustischen Umwelt, wo sich Geräusche und Klänge fließend bewegen, bedingt durch die Bewegung des Menschen und die Bewegung der Objekte. Was ist neu an der Kompositionsweise? Seit Jahrzehnten gibt es Komponisten wie Luigi Nono und Karl Stockhausen, die analoge und digitale Musik für im Raum verteilte Lautsprecher geschrieben haben. Die Herstellung synthetischer Töne ist inzwischen von einem zeitraubenden Unterfangen in den 60er Jahren zu einem einfachen Vorgang geworden. Aufwendig geblieben ist dagegen die informationstechnische Umsetzung der kompositorischen Idee: Komponisten sind gezwungen, sich Programmier-Kenntnisse anzueignen. Ihre kompositorische Fähigkeit wird durch ihre begrenzte Fähigkeit, sich in der Informatik auszukennen, und durch den mit der technischen Realisierung verbundenen Zeitaufwand beschränkt. Das Neue an der Komposition von Sabine Schäfer ist, daß sie diese Beschränkung aufgehoben hat. Sie kann sich auf die Komposition konzentrieren. Ihr gelingt die zeitgenaue Steuerung der Tonbewegung durch den Raum und die kompositorische Bewältigung dieser von ihr geschaffenen neuen technischen Möglichkeit. In Zusammenarbeit mit dem Informatiker Sukandar Kartadinata hat sie ein informationstechnisches System entwickelt, das es ihr gestattet zu komponieren, ohne durch die Programmierung von ihrer eigentlichen kompositorischen Arbeit abgehalten zu werden. Sabine Schäfer und Sukandar Kartadinata haben, in der Sprache der Informationstechnik, eine "nutzerfreundliche Schnittstelle" entwickelt. Die Komponistin hat die Anforderungen an die Informationstechnik formuliert und sich ein Werkzeug für eine neue Ästhetik geschaffen. Sie setzt damit die Reihe der Musiker fort, die in der Vergangenheit Anstöße für die technische Entwicklung von Musikinstrumenten gegeben haben. Sie zeigt, welche Anforderungen eine Künstlerin an diese Technik richtet. In die Komposition hat Sabine Schäfer auch einen computergesteuerten Flügel einbezogen und so gezeigt, wie klassische Instrumente und digitale Tonquellen verbunden werden können und wie die Informationstechnik klassischen Instrumenten neue Leistungen entlockt. Wenn Komponisten den Raum heute entdecken oder wiederentdecken und hierfür die Informationstechnik benutzen, so ist das kein Ereignis, das nur die Komponisten und Konzertbesucher angeht. Die Räumlichkeit ist wie in der Renaissance eine Eigenschaft, die heute nicht nur in der Musik an Bedeutung gewinnt. Die in der Renaissance offensichtlichen Parallelen zwischen Naturwissenschaft, Architektur, Malerei und Musik finden heute ihre Fortsetzung. Die Räumlichkeit ist ein Thema, das unsere Gesellschaft zunehmend bewegt und das die tieferliegende Ursache für die Entdeckung des Raumes als Kompositionsprinzip oder für die Entwicklung einer neuen Visualisierungstechnik wie der Virtuellen Realität sind. Sich in Räume hineinzuversetzen, muß eine von vielen gewünschte Fähigkeit und die Folge tieferliegender Wünsche, Gefühle und Erfahrungen sein. Zu diesem Komplex von Ursachen und Folgen der wichtiger werdenden Räumlichkeit zählt auch der Blick von außen auf die Erde. Der Wunsch, sich in Räume hineinzuversetzen und Räume zu erleben, mit welchen Sinnen auch immer, wird die weitere Entwicklung der Informationstechnik prägen. |